Deine Mauern sind dick wie ein Extraleben. Mehrfach schon habe ich den Meißel angesetzt. Du wehrst ihn lässig ab, hast es längst erwartet. Dein Lächeln ist dein Tor zur Seele, deine Mundwinkel steuern den Zutritt. Nun halte ich das Steigbügel in den Händen, aber ich zeige es dir, denn reden können wir über alles. Du seufzt und sagst, ich weiß, und zeigst mir die Route. Das Ende sehe ich nicht, Nebel schwimmt um dein Gemüt. Ich lege das Gerät beiseite und behalte meinen BH an.
Ode an Adrianne
Aus „Evol“, Adrianne Lenker, 2024
Love spells evol,
backwards, people
words back, words
backwards are lethal
Ich höre Musik nur zum Vergnügen. Wenn ich also sage, dass mir nur selten Lieder wegen ihrer guten Texte in Erinnerung bleiben, umfasst diese Aussage lediglich einen winzigen Ausschnitt aus der Musikgeschichte. Der frühe Henning May von AMK ist dabei, einige Lieder von Janis Joplin, Stromae natürlich und neuerdings auch die US-amerikanische Country-Sängerin (!) Adrianne Lenker. Kein Algorithmus hat mich auf ihre Spur gebracht, sondern ein Feuilletonbeitrag mit etwas schrägem Titel.
Ich muss schon viel Zeit haben, um Musikrezensionen zu lesen. Auf einer etwa 45-minütigen Fahrt im roten Doppeldecker-Bus von London Greenwich nach London City war der angenehme Zustand der Ennui erreicht. Während draußen das London der alten Docks und Lagerhäuser an uns vorbeifuhr und ich mich an den Umstand gewöhnte, dass in der britischen Hauptstadt alles adrett ist, auch das Hässliche, vertiefte ich mich in eine Rezension bei Spiegel Online.
Der Text von Andreas Borcholte begann glücklicherweise so interessant für einen Text-Addict wie mich, dass ich, die das Wort Countrymusik noch nicht verdaut hatte, dranblieb.
„Manche, sehr seltene Alben sind so dicht geschrieben und komponiert, dass man schon beim ersten Song andauernd auf die Pausentaste klickt, um dann zurückzuskippen und noch mal nachzuhören: Was hat sie da gerade gesungen? Oder einfach nur, um nachzusinnen, um noch einmal die Schönheit eines winzigen Songmoments zu erleben, der sonst allzu flüchtig vorbeigeweht wäre.
»Bright Future«, das fünfte und bisher beste Soloalbum der US-amerikanischen Songwriterin Adrianne Lenker ist so ein Wunderwerk. Dabei wirkt es zunächst gar nicht spektakulär: Auf den ersten Blick sind es nur ein paar hinreißend knarrende und klimpernde Folk-Songs mit intimen Texten, die Lenker zusammen mit ein paar engen Freunden irgendwo in den Wäldern von New England im Studio aufgenommen hat.“
Und was, soll ich sagen: er hat Recht!
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gegenwärme
die bunten wogen ölen hoffnung, gemeinsam gehen wir auf die dörfer, wir hören zu, wir widersprechen, wir haken uns ein und ziehen euch weg von den rohen, hämischen, kalten händen, löschen eure telegram-kanäle und legen neue zugänge, wir sprechen von solidarität und davon, dass die guten dinge immer länger dauern und ihr sagt, dass wir euch vergessen haben, und wir sehen uns an und sagen: wahrscheinlich stimmt das und: was können wir tun und ihr beginnt zu erzählen und wir widersprechen manchmal, denn demokratie ist kein konsumprodukt, aber wir müssen auch zugeben, dass wir uns nicht zuständig gefühlt haben und dachten, unsere wärme genüge auch für euch, aber euch ist kalt und immer wieder seht ihr euch um zu den freundlichen faschisten mit den einfachen botschaften, in den landstrich ohne dunkle hautfarbe, es kommt ja keiner mehr, genauso wie wir nicht kommen und manchmal verdrehen wir die augen, innerlich nur, weil die ängste, die ihr uns entgegenschallt, so einfach zu enttarnen wären, aber ihr seid noch nicht weg vom juicy feed, alles, was wir anzubieten haben, ist wirklichkeit und selbstveranwortung, aber eben auch das gefühl, nicht opfer zu sein und wir beginnen, bücher über drogenentzug zu lesen, und wo wir standhaft und wo wir empathisch und wo wir vorbild sein sollen, und es wird etwas leichter mit euch und uns, denn immer noch stehen wir uns gegenüber und hinter euch, wir sehen sie in euren augen, wartet die armada von hetze und hass, sirenen des untergangs, und wir bieten euch an, die wirklichkeit anzuerkennen, in all dem, was sie ist und sein kann, und wir sagen euch, dass ihr natürlich gestalten könnt, niemand würde euch aufhalten in einer demokratie, engagement klingt in euren augen so anstrengend und ihr bockt. aber wir bleiben da.
Emotionsverräter
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Druck im Kessel
Zwischen gesund und tot liegt
im falschen Moment auf die Straße gegangen sein,
ein Flugzeug, das vom Himmel fällt
sich selbst fremd sein.
–
Zwischen gesund und tot liegt
der trübe Blick deiner Ärztin
ein falsches Date
eine Kettensäge.
–
Zwischen gesund und tot liegt
die Zigarette gegen alle Wahrscheinlichkeiten
Sehnsucht nach dem Falschen
Angst vor der eigenen Courage.
–
Zwischen gesund und tot liegt
aus einer Krebsfamilie kommen
aus einer neurotischen Familie kommen
aus gar keiner Familie kommen.
–
Zwischen gesund und tot liegt
ein Stein, der dich zum Abgrund zieht
ein Amoklauf
immer nur auf sich zu hören.
————————-
(c) Anja Mutschler, im November 2023
9.11.38 neu (etüde no1) // wie es eigentlich sein sollte
willkommen, geschätzt, geachtet, verstanden, aufgenommen, wahrgenommen, wärme, akzeptanz, respekt, safe space, zugewandt, zugehört, angehört, umarmt, an die hand genommen, getröstet, zusammengeführt, vereint, in ruhe gelassen, begrüßt, nicht müssen, können, wollen, sich äußern, reden dürfen, singen, an der hand halten, küssen, liebe, wahrgenommen, die bühne bieten, den vortritt lassen, verneigen, tribut zollen, applaudieren, die hand reichen, brüderlich umarmen, verschwestern, heiraten, herumalbern, der Kumpel sein, BFF, lachen, gackern, glucksen, schnattern, hineinlassen, die tür öffnen, einladen, gesellschaft, geselligkeit, verbinden, lernen, gemeinsam denken, weiterkommen, stimmt sagen, du hast recht sagen, entschuldigung sagen, danke sagen, bitte sagen, interesse zeigen, das eigene und das fremde, versöhnen, integrieren, interagieren, kommunizieren, gehen, herumstehen, nebeneinander, miteinander, aufeinander, durcheinander, fröhliches chaos, vielfalt, bunt, erkennen, neugier, offenheit, sich erkennen. sich im anderen erkennen. dürfen.
all das ist dieser tag. all das sollte er sein.
Empathie fürn Arsch
Ob du dir die Nase pudern willst, raunst du und rennst schon los, als du zurückkommst, scheinst du nicht bemerkt zu haben, dass ich gar nicht dabei war. Na, Junge, alter Wessi, was geht, wolln wir, oh ey, da hockt ja schon wieder die dumme Kuh, die ist so dumm, sagst du und speihst Spucke voller Selbstverachtung, die ist echt zu blöd zum Ficken, das ist so sinnlos hier, wasgeht.
WeiterlesenDon’t de-humanize!
Das Schöne an den Menschen ist
ihre
Fähigkeit, zu verzeihen. Einfach so. Weil die Zeit gekommen ist, weil wir
der Angelegenheit
einen weiteren Gedanken schenkten oder
sie irgendwann vergaßen.
Ausgeschlossen von dieser Routine des freien Geistes sind
„Bluts“verwandte
Nationalisten
Eiferer und andere, die vergessen haben,
ihren Gedanken in alle Richtungen zu
folgen.
Die Unbeschwerde eines neuen Tages kennen sie nicht. Auch nicht die Freude der Wiedervereinigung. Oder die Erleichterung der Einsicht.
Es ist schwer, sich mit einem Rache-Roboter zu einigen. Es ist unmöglich zwischen zwei Rache-Robotern. Rache ist
heiß,
sie ist süß und sie macht blind.
Der Sieg (über etwas oder jemanden) gilt als Gipfel der Menschheit. Mir scheint: das Ringen, nicht siegen zu müssen, ist der wahre
Triumph.
Don’t de-humanize!
—
Leipzig, im Oktober 2023 (c) Anja Mutschler
Deine Ahnen, gingen sie zur See
Bar eines Gedankens stehst du vor mir und ich weiß nicht, ob die schöne Seele, die ich in deinen Augen sehe, alles ist von dir. Tausend Vögel
kreisen
und meine Wimpern flattern, doch ich will weiter in dich sehen. Wir sprechen selten heute, es ist
WeiterlesenMorgengedanke
Ich denke nicht an dich, denke ich, wenn ich mal an dich denke,
du warst nur ein äußerer Zustand,
meine Seele bleibt stumm im Angesicht deines Bildes,
meine Leidenschaftslosigkeit macht mich fassungslos,
denn damals dachte ich, du wärst meine beste zweite Chance.